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Publication: 01 August 2015
Author: Thor Joakimsson
Note: 11/15

In ihrem jüngst veröffentlichten Dialog "Vom Gott und Menschen" reflektieren die beiden polnischen Intellektuellen Zygmunt Bauman und Stanislaw Obirek die Herausforderungen der späten Moderne. Dabei formulieren der Soziologe und der Theologe angesichts zunehmender Beziehungslosigkeit und Entfremdung der Menschen ihre je persönlichen Ängste. Sie belassen es jedoch nicht dabei, sondern ermutigen sich gegenseitig, und somit auch ihre Leser, Gelassenheit zu entwickeln und sich für humanistische Werte stark zu machen. Mit ihrem bald erscheinenden sechsten Album "Love, Fear And The Time Machine" bringt sich die polnische Band RIVERSIDE in eben diesen Dialog auf die ihr typische Weise ein: Sie vertraut mit Mut vermittelnder Gelassenheit auf ihre eigenen Stärken, nimmt ihre Hörer an die Hand, wirft einen Blick zurück und stellt wie ein großer Bruder fest: "Gemeinsam schaffen wir das!"

"Let me tell you a story", singt Mariusz Duda in dem sich sanft aufbäumenden Song "Towards The Blue Horizon", und er meint das wörtlich. Auf "Love, Fear And The Time Machine" geht es RIVERSIDE weniger denn je um Prog Rock oder Metal, sondern um einen direkten Draht zum Hörer. Gleichwohl dem Lied anzuhören ist, dass das Quartett einst von Porcupine Tree Notiz genommen hat, und "Saturate Me" die Tour im Vorprogramm von Dream Theater erinnert, vertrauen RIVERSIDE auf die Kraft der gesungenen Worte und eine beeindruckende Zurückhaltung an den übrigen Instrumenten. Umso stärker wirken die Einladungen Dudas: "Let's go back to the world that was thirty years ago and let's believe this is our time", singt der Hüne gefühlvoll in "Time Travellers", während sich Piano, Keyboard, Akustik- und E-Gitarre behutsam anschmiegen. Kuschelrock für die Eclipsed-Fraktion? Wer den harten Groove vermisst, der mag "Love, Fear And The Time Machine" zunächst so abwerten – und dabei vergessen, dass zu den rührendsten Liedern dieser Band bereits seit Langem "Conceiving You" gehört. Nun schlagen die Polen also einen Weg ein, der sie trotz wunderschöner Songs und eingängiger Refrains – der Opener "Lost" klingt bereits nach der ersten Begegnung lange in mir nach – kaum ins Radio (weich)spülen wird. Dafür bauen RIVERSIDE in aller Ruhe ihre künstlerische Freiheit aus und begegnen jeglichen Erwartungshaltungen mit entwaffnender Offenheit und zahlreichen kraftvollen und ermutigenden Gesten, sich auch in dunklen Zeiten nicht zu verkriechen: "How long can you hold your breath under a pillow?", fragt Duda und klopft auf die Schulter: "Hey you, rise and shine!" "Auf dem Album geht es vor allem um Entscheidungen, die dein Leben ernsthaft verändern", so der Sänger über "Love, Fear And The Time Machine" und die Frage, wie sehr wir uns von unseren Ängsten fesseln lassen oder doch für Liebe entscheiden können. "Wir wünschen uns, dass dieses Album so eine Art bester Freund werden kann, darum auch ein gewisser Tiefgang der Texte", erklärt Duda. Ein abstruser Anspruch einer Band, der die musikalischen Argumente ausgehen?

Nein. Denn nach nur einer Begegnung weiß ich, was der Sänger meint. Genauso wie ich seit einigen Tagen das eingangs erwähnte Buch mit mir trage und mir bereits ein kurzer Blick hinein Hoffnung verleiht und mich bestärkt, so ahne ich, dass die Musik RIVERSIDEs ganz ähnlich zu wirken vermag. Hätte ich noch einen Discman dabei...

Fazit: Ob RIVERSIDE mit "Love, Fear And The Time Machine" stilistisch gesehen zwei Schritte zurück und dann einen, zwei oder drei vorwärts gehen, darüber mögen sich die Gelehrten streiten. Der sanfte Kurswechsel hin zu vergleichsweise ruhigen Songs mit Duda als mehr denn je den Dialog suchenden Sänger war für Konzertbesucher ohnehin abzusehen. Die Band vollzieht diesen Schritt hörbar als Einheit, verzichtet auf Ego-Spielchen und verliert sich weder wie Anathema selbstverliebt im Kitsch, noch wie Porcupine Tree im abgehobenen Perfektionismus. Der menschliche Ausdruck steht bei RIVERSIDE weiter – gänzlich unspektakulär – im Zentrum ihrer Musik. Diese dient sich auf "Love, Fear And The Time Machine" vor allem zur Introspektion an, wie bereits das traumhafte Cover Artwork im Stile Caspar David Friedrichs vergegenwärtigt.