Bright Eyes (DE)

Publication: 01 January 2006
Interviewee: M.DUDA, P.GRUDZIŃSKI
Interviewer: Monika Baus

The interview for Bright Eyes with Mariusz Duda i Piotr Grudziński

Mit ihrem atmosphärisch dichten Debüt „Out Of Myself” schlugen die vier Warschauer Progmetaller RIVERSIDE bereits 2004 einige Wellen. Mit dem kürzlich bei Inside Out erschienenen „Second Life Syndrome” setzen sie nun noch eins drauf und treffen mit ihrer ehrlichen Mischung aus inhaltlicher Dichte und Emotionalität à la Pain Of Salvation, Rock’n’Roll à la Deep Purple und Düstermetall à la Opeth den Nerv der Zeit, ohne sich anzubiedern. In nur zwei Jahren legten die fleißigen Musiker zwei von der Fachpresse gut bis begeistert aufgenommene CDs, eine EP sowie eine von hoch gelobte Europatournee hin, und es bleibt zu hoffen, dass die glühenden Death Metal- und Anathema-Verehrer auch den Sprung über den Teich bald gewährt bekommen.

Mit musikalischem Können, Detailverliebtheit und einer gesunden Portion Ambition schaffte es die Band, Ende des Jahres 2005 in diversen Musikpublikationen einen Geheimtipp zu landen. Beim Rock Hard schafften sie es auf Platz vier der Monatswertung im Dezember, beim eher am Progressive Rock ausgerichteten Eclipsed sogar zum Album des Monats November und zum Co-Headliner eines ihrer Festivals in Aschaffenburg. Dort ist es auch, wo ich die Band treffe und mit Bassist/Sänger/Texter Mariusz Duda und Gitarrist Piotr Grudziński vor dem Gig ein Schwätzchen im viel zu umtriebigen Flur des Backstage-Bereiches halte.

Die Idee für eine Band mit der musikalischen Ausrichtung Progressive Rock/Metal entstand 2001 an einem denkbar unwahrscheinlichen Ort zu unwahrscheinlichem Zeitpunkt: Death Metal-Schlagzeuger Piotr Kozieradski legte zur Überraschung seines Beifahrers Piotr Grudziński, Gitarrist im selben Genre, eine Marillion-Kassette ins Autoradio ein. Eine versteckte Vorliebe für diese Band war etwas, womit er nach eigenen Worten vor seinen Bandkollegen nicht gerade hausieren ging... Der Schlagzeuger und der Gitarrist, dessen eigener Stil nicht von ungefähr an den eines David Gilmour von Pink Floyd erinnert, suchten nach Mitstreitern. Ein befreundeter Keyboarder und Soundtüftler, Jacek Melnicki, ließ sich auf die Idee ein und brachte zu ihrer zweiten Bandprobe einen versierten Bassisten mit, Mariusz Duda. Es stellte sich bald heraus, dass man mit ihm das Sängerproblem gleich mitgelöst hatte, denn zu seiner eigenen Überraschung (warum eigentlich?) stießen seine gesanglichen Experimente auf volle Zustimmung der Band. Bald begann Mariusz auch introspektive englische Texte zu schreiben, und die Idee für ein Konzept, das die ersten drei Alben umfassen soll, war geboren. Sony Music in Polen bot einen Plattenvertrag an. Trotz personeller Veränderungen – Keyboarder Jacek verließ die Band noch vor der Fertigstellung des Albums – wurde das Projekt durchgezogen und das Debüt 2003 in Polen landesweit mit großem Erfolg veröffentlicht. Mutig werfen RIVERSIDE ihren Hörern bereits mit dem Opener ein 12-Minuten-plus Stück um die Ohren, das minutenlang in elegischen Pink Floyd-artigen Klangteppichen aus Gitarre und Keyboard schwelgt, bevor aggressive Basslinien und warmer, aber zugleich kraftvoller Gesang sowie einige Growls das Regiment übernehmen und damit die Musik eindeutig in Richtung Metal drängen. Von diesem Wechselspiel lebt die gesamte CD, in der der erste Teil der Geschichte eines namenlosen Helden erzählt wird, der sich selbst verliert, verletzt wird, andere verletzt und sich am Ende völlig von der Außenwelt abkapselt.
Nicht nur um das Debüt promoten zu können, musste schnell ein neuer Keyboarder an Bord, und bereits Ende desselben Jahres fand man in Michał Łapaj, einem blutjungen Multiinstrumentalisten aus einer Musikerfamilie und glühenden Jon Lord-Verehrer, einen mehr als würdigen Ersatz. Es ist seinem abwechslungsreichen Keyboardspiel (Hammond und Piano kommen zum Einsatz) zu einem Gutteil zu verdanken, dass ihre aktuelle CD „Second Life Syndrome” nun deutlich schmutziger, erdiger und druckvoller klingt als noch ihr Debüt, ohne die detailreichen Songstrukturen und die durchgehend düstere Stimmung des Debüts zu vernachlässigen.

2004 schrieb man an neuem Material, das zu vielseitig war, um es auf einen einzigen Output zu pressen, weshalb man mit „Voices In My Head” ein leider schwer erhältliches Kleinod mit fünf atmosphärisch dichten halbakustischen Songs veröffentlichte, das noch am ehesten mit dem Porcupine Tree-Seitenprojekt Blackfield zu vergleichen ist. Auf der EP finden sich außerdem drei Live-Versionen von Stücken des Debüts, die die Livequalitäten der Band erahnen lassen. Die Band spielt seit jeher mit Grenzüberschreitungen und ließ verlauten, dass diese ungewöhnliche EP in keinster Weise als richtungsweisend für die musikalische Weiterentwicklung der Band zu sehen sei – im Gegenteil, auf der zweiten CD würde deutlich mehr geknüppelt werden!

Parallel dazu suchte die ambitionierte Band ein international agierendes Label für ihr Debüt, was sie im US-amerikanischen Laser’s Edge auch fand. Das Artwork wurde runderneuert von niemand geringerem als Travis Smith, der unter anderem auch verantwortlich ist für das Anathema- oder das Opeth-Logo. Während der Vertrieb des Debüts in den Staaten funktionierte wie am Schnürchen und der Band die Einladung zum renommiertesten und größten aller Progressivrock-Festivals jenseits des Teichs, dem NEARfest, einbrachte, war die Scheibe hierzulande schwerer zu bekommen. Leider folgte auf die Einladung sogleich wieder die Ausladung, dank hirnweicher Visa-Beschränkungen der US-Behörden. Um dort für einen Bandauftritt einzureisen, ist man leider besser kein unverheirateter polnischer Musikstudent...

In den Niederlanden, wo sie im November 2004 ihren ersten Auslandsauftritt hatten, wurden sie gefragt, warum ihre CD so schwer zu bekommen sei. Mariusz Duda und Piotr Grudziński sind sich einig, dass dies der Hauptgrund war, weswegen sich die Band nach einem neuen Plattenvertrag umsah. Inside Out aus Kleve überlegte nicht zweimal, und Ende Oktober 2005 stand das Zweitwerk in den Regalen. Mit Blick auf Anathema oder Pain Of Salvation sagt Mariusz, es sei ihm eine Ehre, bei Inside Out neben Bands, die er verehrt, zu stehen. Auch ihr zweites Werk hat ein markant-düsteres Travis-Smith-Cover und führt die Geschichte des namenlosen Helden fort. Diesmal versucht dieser, Beziehungen zu knüpfen und parallel dazu schmerzhafte Erinnerungen aus seinem vorherigen Leben auszuradieren. Zwar gelingt ihm dies im letzen Stück, das sinnigerweise „Before“ heißt, doch kommen ihm Zweifel, ob dieser Zustand tatsächlich erstrebenswert ist. Antworten darauf wird es mit dem dritten Album geben, an dem die Band 2006 arbeiten wird. Dabei steht das Ende der Geschichte in seinen Einzelheiten beileibe noch nicht fest, wie Mariusz, der sich Inspirationen für seine Texte aus seiner Umgebung fischt, andeutet. Auch der Progressivrock mit seinen Ausflügen ins Land der sprechenden Blumen und fliegenden Pferde ist mittlerweile in der realen Gegenwart angekommen, wie es scheint. (Das sage ich jetzt als bekennender Genesis-Fan...).

Wie schon erwähnt gehen RIVERSIDE beim Zweitling um einiges direkter zur Sache, und schon das Intro (das bezeichnenderweise ‚After’ heißt), die geflüsterte Abrechnung mit der Situation, und die unheilsschwangeren Ethno-Rhythmen lassen erwartungsvolle Gänsehaut aufkommen. Mariusz spielt sein Instrument ganz im Stil seines großen Vorbilds Geddy Lee von Rush melodiös, knackig und im Vordergrund. Dabei liefern er und Gitarrist Piotr Grudziński abwechselnd die Melodievorgaben, die vom anderen übernommen und weitergesponnen werden. Dieses Vorgehen ist der kompositorischen Arbeit des kanadischen Powertrios Rush nicht unähnlich und ein Grund, warum sich die Band bei Vier-Minuten Rocknummern genauso wenig verheddert wie beim 15-minütigen Titelstück. Die Nummern kommen nach einer Achterbahnfahrt durch Rhythmuswechsel, detailverliebte Soli und Stilverschmelzungen tatsächlich immer zielsicher am Heimatbahnhof an, ohne dabei die Hörer eher gradliniger Rhythmen aus dem Abteil zu schleudern. Das instrumentale ‚Reality Dream’ ist hierfür das beste Beispiel. Für einen Todesmetaller mit großem Vorbild Dave Lombardo versteht Piotr Kozieradzki erstklassig die Kunst der Zurückhaltung, um in anderen Passagen dafür umso mehr zu zeigen, wo der Hammer hängt. Sänger Mariusz lotet noch einmal die Grenzen seiner in allen erdenklichen Ton- und Grunzlagen vollen Stimme neu aus und kann es mit den Meistern seines Fachs problemlos aufnehmen. Die Komposition schön klingender englischer Texte und deren akzentfreie Darbietung sind ihm ein Anliegen, und während er mit einem imaginären Stift auf seine Hose kritzelt, erklärt er mir seine Vorgehensweise: Zuhören, sich auf die korrekte Aussprache einlassen, nach einem schönen Wort oder einer Wendung suchen, das ist sein Geheimrezept für akzentfreien Gesang.

Bevor ich die beiden Musiker zu ihrem wohlverdienten Abendessen vor dem Gig entlasse, will ich noch etwas über die polnische Rock- und Metalszene erfahren. Laut den beiden gibt es in Europa nur zwei Staaten, die Musik genug fördern: Großbritannien und Schweden. Dies sei ein Grund, warum sich in Skandinavien eine blühende Metalszene mit eigenem Profil entwickeln konnte, deren Bands man ihr Herkunftsland einfach anhört. Trotzdem sind in dem Genre auch gute polnische Bands am Start, Behemoth und Vader sind da wohl die bekanntesten. Und ab zu Speis und Trank, hat mich sehr gefreut!
Wem keine Soundwand zu brachial und kein Rhythmus zu kaputt ist und wer auch keine Allergien bei einer elektrifizierten Geige bekommt, der kann auch mal bei Indukti ein Ohr riskieren. Denen lieh Mariusz seine Stimme bei zwei Stücken, und aller Wahrscheinlichkeit nach wird man in diesem Festivalsommer in Deutschland von ihnen zu hören bekommen. RIVERSIDE, die mich an diesem Abend mit ihrem Konzert in ein Paralleluniversum versetzten, planen im April drei Deutschland-Gigs.
(Mit Entschuldigung an Detlef Dengler vom Metal Hammer für die allzu häufige Zitierung des Wortes „detailverliebt“, treffender für diese Band ist kein Attribut!)